Zahnwechsel | Berg- und Talbahn der Gefühle rund ums 7. Lebensjahr

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So um den 6. Geburtstag ist es soweit: Der Zahnwechsel steht an! Der erste Wackelzahn wird meist schon sehnlich erwartet, schließlich deutet eine Zahnlücke ganz klar optisch darauf hin, dass man nun zu den „Großen“ gehört. Endlich der erste Wackelzahn? Der Weg dahin ist holprig. Mich als Mutter erinnert das Szenario ein wenig an die anstrengende Zeit des Zahnens mit Baby. Das Traurige darin ist, dass man nichts tun kann, ausser da zu sein und zu begleiten.

Kein Tag ist wie der andere. Kein Kind ist wie das andere. So wie es schon bei Babys komplett unterschiedlich ist, wann sich das erste Zähnchen zeigt, ist es dann auch beim Zahnwechsel. Laut Fachliteratur ist es der 6. Geburtstag, der die neuen Zähne bringt, aber der Körper lässt sich da nicht beirren und ist so, wie er eben ist. Ob es nun tatsächlich der erwartete vordere Schneidezahn ist, der ausfällt oder ob erst einer der bleibenden (aber von außen unsichtbare) Backenzahn ist, der den Umbau des Kindergebiss einläutet, ist ebenso unterschiedlich.

„Die Zahnwechselzeit dauert relativ lange. Sie erstreckt sich vom Durchbruch des ersten bleibenden Zahnes mit etwa sechs Jahren (mit starken individuellen Abweichungen) bis zum Druchbruch des zweiten Molars ungefähr im zwölften Lebensjahr.“ ¹


Emotionale Berg- und Talfahrt im 7. Lebensjahr

Die Zeit des Zahnwechsels ist emotional eine schwere Phase für die Kinder (und die Familie). Emotionales Ungleichgewicht, Tränen, Wut, Zorn – eine unglaubliche Welt an großen Gefühlen begleiten diese Jahre. Nicht andauernd und nicht ohne Unterbrechung, so wie die Zähne sich nach und nach erst zeigen, sind das anspruchsvolle Zeiten. Gefühlsschwankungen und Selbstzweifel, Verlorenheit und himmelhochjauchzende Momente jagen einander.

Im oben zitierten Buch „Wackeln die Zähne – wackelt die Seele“¹ ist von

  • Haltungsproblemen
  • innerer Zerissenheit
  • Unruhe
  • Zappeligkeit
  • grundloses Weinen
  • Konzentrationsschwierigkeiten

und noch weiteren Begleiterscheinungen die Rede, die auf den Wechsel des Gebisses hindeuten und während dieser Phase auftreten können. Kindergartenkinder im letzten Jahr brauchen ganz besonders viel Aufmerksamkeit und Begleitung, der sie vertrauen. Sie sind teilweise emotional hin- und hergerissen und scheinbar dünn besaitet.

Im Buch ist die Rede von Ablösungsprozessen und der Vergrößerung des Erlebnisradius: Genau das beobachte ich bei Frl. Tochter seit einigen Monaten. Sie hat sich wahnsinnig gefreut, als sie erstmalig einen eigenen Weg nachhause gehen durfte und wir uns dann beim Gartentor wieder getroffen haben. Ein wichtiges Erlebnis war für uns auch, als ich ihr zugetraut habe, erstmals 15 Minuten allein daheim zu bleiben, während ich schnell eine Erledigung im Ort gemacht habe. Sie war so unglaublich stolz!

Für mich und bestimmt auch für meine Tochter sind die unberechenbaren „Ausbrüche“ das herausforderndste und schwierigste an der derzeitigen Situation. Die Sehnsucht und das Warten auf die neuen Zähne, die Vorfreude und die Euphorie zum nahenden Schulstart und gleichzeitig die Ungeduld und die aufbrausende Wut, die es zeitweilig unmöglich macht miteinander zu sprechen.

Der ganzheitliche Ansatz – Anthroposophie zum Zahnwechsel

Die Anthroposophie (Diese ist eine Anschauung, die besagt, dass der Mensch aus dem sogenannten leiblichen, dem seelischen und dem geistigen Wesensglied, sowie dem Ich besteht. Rudolf Steiner.) betrachtet die Veränderung und die Entwicklung des Kindes ganzheitlich. Dieser Zugang ist spannend und bringt ein bisschen Hilfe in der Begleitung dieser herausfordernden Phasen. Die sichtbare Gestalt von Kindern rund um das sechste / siebente Lebensjahr ändert sich stark. Der Kleinkindkörper weicht und bekommt ein neues Aussehen. Nicht nur das Gesicht  und hier allem voran der Mund ändern sich mit den neuen, bleibenden Zähnen. Der Rumpf und die Gliedmaßen werden länger, Gelenke und Muskeln sichtbarer. Die Kleinkind-Fettpölsterchen verschwinden. Die Wirbelsäule bekommt die S-Krümmung und der Hals wird länger. Gleichzeitig beginnt die seelische Verwandlung, die Kinder beginnen sich erstmals zu distanzieren. Das eigene Weltbild wird erkannt, bestärkt und erstmals auch verglichen: „Die hat das… und ich ich nicht.!“ „S. darf jeden Tag reiten gehen, das ist so gemein!“

Ich bin da. Reden wir später.

Da sein und zuhören. Die Grenzen werden extrem ausgelotet und müssen abgesteckt werden. Allem voran meine eigenen.

Was hilft?

Zuhören, wenn es gewünscht ist. Raum, wenn er gebraucht und eingefordert wird: „Lass mich allein, ich will allein sein!“ Anerkennen, was ist. Benennt die Gefühle oder hilf deinem Kind dabei, wenn es das selber gerade (noch) nicht kann.

Es ist nicht leicht, immer Verständnis zu zeigen.

„Hören Sie zunächst zu und wiederholen Sie dann, wie sich Ihr Kind gerade fühlt. Nutzen Sie gleichzeitig Ihre nonverbale Kommunikation, um es zu trösten. Umarmungen und Berührungen, begleitet von einem empathischen Gesichtsausdruck, sind weiterhin wirkungsvolle Mittel, um starke Emotionen zu beruhigen. Gehen Sie dann zur Problemlösung über …“ ²

Es kann sehr hilfreich sein, nach dem Drama darüber zu sprechen. Die Situation zu beschreiben und zu benennen, was gerade so ein großes Gefühl ausgelöst hat. Manche Kinder antworten auf Fragen, wollen selber erzählen und anderen tut es gut, ein Buch mit Zeichnungen zu führen und Bilder zu gestalten. Bewegung ist ein weiterer wichtiger Ansatz, um die Balance und das innere Gleichgewicht wieder zu finden zu spüren: Luftballons schubsten, Yoga oder Toben im Garten, das hängt vom Temperament des Kindes ab. Diese und weitere Strategien, beruhend auf der Hirnforschung geben Anhaltspunkte und helfen in vielen intensiven Situationen. Diese Inputs stammen aus dem Buch „Achtsame Kommunikation mit Kindern“, Daniel Siegel.

Wachstumsschmerzen

Ich konnte mehrfach bei meinen Kindern Wachstumsschmerzen wahrnehmen. Das fiel mitunter auch recht heftig auf, vor allem, weil es ohne Vorwarnung auftritt. Plötzlich kann das Kind augenscheinlich nicht mehr auf den Fuß auftreten, klagt über heftige Schmerzen in Knie oder Hüfte. Annehmen, was das Kind sagt und die Schmerzen keinesfalls als „Faulheit“ oder „Kleinigkeit“ abtun ist der erste und zugleich wichtigste Tipp. Ich erinnere mich an meine eigenen, schmerzenden Beine am Heimweg von der Schule, die Schultasche musste ich mehrmals abstellen und immer wieder rasten, an manchen Tagen war es echt schlimm. Leider bekam ich nicht die nötige Aufmerksamkeit…. Das war fast noch schlimmer als der Schmerz an sich. Im Alltag kann es -ähnlich wie beim Zahnwechsel-Thema- gut helfen, offen mit dem Kind zu sprechen: „Dein Körper wächst, deine Knochen und deine Muskeln werden stärker.“ Vielleicht ist für euch ein Maßband hilfreich, um das Wachstum tatsächlich in den nächsten Wochen zu dokumentieren?!? Oder das Kind möchte etwas ganz besonderes zu Essen! Ich habe fast immer auch mehr Appetit beobachten können, meist um einige Tage zeitversetzt, aber vor allem proteinreiche Lebensmittel, wie mageres Fleisch und hochwertige Kohlenhydrate waren wichtig.

Moderate Bewegung hat nach meinen Erfahrungen auch gut geholfen – nicht im akuten Schmerz, aber kurz darauf: ein kleiner Umweg für Alltags-Besorgungen oder ein paar Extra-Runden im Supermarkt, eine halbe Stunde mehr am Spielplatz oder ein Ausflug ins Hallenbad im Winter!

LITERATURHINWEISE:

¹ Kiel-Hinrichsen, Monika, Kviske Renate: Wackeln die Zähne – wackelt die Seele. Urachhaus: Stuttgart

² Siegel, Daniel J., Payne Bryson T.: Achtsame Kommunikation mit Kindern – 12 revolutionäre Strategien aus der Hirnforschung für die gesunde Entwicklung Ihres Kindes. Arbor.

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