In den meisten Familien haben die Erfüllung der Wunschlisten und das Besorgen der Geschenke für die Kinder vor Weihnachten oberste Priorität. Es wird recherchiert, gerechnet, geshoppt und schließlich mit viel Sorgfalt, Liebe und Mühe eingepackt. Am 24. ist die Spannung schon am Nachmittag meist kaum mehr auszuhalten und wenn es dann endlich soweit ist und die Bescherung losgeht, ist häufig das Drama nicht weit. Die Enttäuschung über Geschenke, die nicht der Vorstellung entsprechen, ist oft groß und wird genau so kundgetan.
„Ich hasse dieses Geschenk!“
„Ich wollte doch das blaue und nicht das rote Auto!“
„Lego ist was für Babys!“
Tränen und Geschrei bei den Kindern und betretene und enttäuschte Gesichter bei den Erwachsenen sind die Folge.
Sind unsere Kinder undankbar?
Wenn das Kind sich so offensichtlich nicht über das Geschenk freut, das es sich einige Wochen zuvor noch so sehr gewünscht hatte, dann ist kommt der Frust auf. Uns Eltern (Großeltern) übermannt die eigene Erziehung und Phrasen wie „Warum ist das Kind so undankbar?“ sind plötzlich da. Wenn sie nicht augenblicklich ausgerufen werden, sind sie zumindest hartnäckige Gedanken. Das ist nicht ungewöhnlich und zeigt einfach nur, wie wir selber erzogen und geprägt wurden.
Enttäuschung über Geschenke: Gefühle sind nun mal da
Wie wäre es, dem Kind zu erlauben, zu fühlen, wie es fühlt und es zu begleiten, statt seinen Frust so persönlich zu nehmen? Erlauben wir uns doch den Ansatz: Das Kind ist nicht UN-dankbar oder UN-zufrieden, sondern hatte einfach eine andere Vorstellung? Enttäuscht zu sein ist ok, es zu zeigen auch. Dass die Wortwahl ungefiltert abläuft ist einfach so. Wie wir das Kind dabei begleiten (können), liegt an uns. Eine Möglichkeit ist, zu beschreiben, was wir wahrnehmen um sicher zu gehen, dass das Kind sich verstanden fühlt: „Dir gefällt die Farbe nicht, gell?“ „Du hast dir das Auto anders vorgestellt, oder?“. Also nicht auf den Gefühlen des Kindes herumzureiten und nur das zu beschreiben, was es dann auch bestätigen oder gegebenenfalls nochmal beschreiben kann. Das Resultat ist wertschätzend und nicht abwertend und bringt Verbindung.
Wir sind immer Vorbild – auch im Umgang mit Frust
Es reicht manchmal schon, wenn ein paar Menschen zusammenkom- men, und schon »menschelt’s«: Jeder braucht und will etwas ande- res, da sind einige eifersüchtig aufeinander, du fühlst dich für alle verantwortlich, nimmst dich in dem ganzen Kuddelmuddel als Ver- sagerin wahr, und dann kommt noch jemand daher und kritisiert dich oder erpresst dich emotional … Drama in Reinstform. Wer da nicht nach Luft schnappen muss, ist echt gut.
Apropos nach Luft schnappen: Der Atem ist der Zubringer zu unseren Gefühlen. Der Atem hält uns am Leben und verbindet Körper, Geist und Psyche.
Der Vagusnerv ist Teil deines parasympathischen Nervensystems und ist zuständig für körperliche Ruhezustände sowie dafür, dass wir in freundlicher Art mit anderen in Kontakt gehen können. Erst mit seiner Hilfe können wir uns auf andere Menschen einstellen und uns ihnen in angemessener Weise über Mimik und Augenbewegungen zuwenden, also sozial interagieren. Durch deine bewuss- te und verlangsamte Atmung kannst du Einfluss auf den Vagusnerv nehmen, weil sie beruhigend auf deinen Körper und über Umwege auch auf dein Gegenüber wirkt. Cool, oder?
aus: „Die Schimpf-Diät“
Begleitung und Ruhe statt Schuldgefühlen
Oft ist es auch eine (durchaus willkommene) Pause aus dem überzuckerten und lauten Getümmel unter dem Weihnachtsbaum, die sich so ergibt. Meist laufen die Kinder ohnehin ins Kinderzimmer oder ziehen sich in eine Ecke zurück. Und wir Eltern bekommen eine schöne Chance, das Kind zu begleiten: „Ich kann verstehen, dass du enttäuscht bist. Ich habe das auch schon erlebt.“ „Willst du wissen, was ich mit dem grünen Schal von Tante Hedi gemacht habe, der mir nicht gefallen hat?“
Vielleicht ergibt sich direkt ein Gespräch mit dem Kind oder mit etwas zeitlichem Abstand. Auch frische Luft, ein Spaziergang oder eine Schneeballschlacht bringen Abkühlung für hitzige Gemüter und sobald die Anspannung und Energie etwas gewichen ist, lässt sich leichter sprechen.
Kinder sind sehr kreativ – vielleicht hat sogar das Kind selber eine gute Idee, was man mit dem „falschen“ Geschenk machen kann!
Warum nehmen wir das so persönlich?
Das Schenken und Geben ist ein sehr traditionelles, menschliches Ritual, das Verbindung und Beziehung schaffen soll. Das gelingt meist dann gut, wenn die Beschenkten mit gut ausgesuchten Goodies bedacht werden, die einen angemessenen Wert haben. Wenn der Wert sehr hoch ist, entsteht schnell der Druck etwas zurückgeben zu müssen. Generell sind Geschenke allerdings so gut wie nie altruistisch, auch wenn sie mit viel Liebe ausgewählt werden. Dort ist auch die Kehrseite der Medaille zu entdecken, denn so entsteht durchs Schenken ein Machtgefälle. Wenn dann das Geschenk bei den Liebsten (oder Kleinsten) nicht wie erwartet ankommt, sticht der Schmerz.
Brauchen Kinder Geschenke?
Der bekannte Neurobiologe Gerald Hüther und Autor André Stern sagen nein: „Die meisten Geschenke sind nichts anderes als fragwürdige Verführungen. Sie rauben Kindern die Kraft, die in ihnen angelegten Talente und Begabungen zu entfalten und ihr Leben selbständig und eigenverantwortlich zu gestalten. Um zu lernen, wie das Leben geht, brauchen Kinder uns, nicht unsere Geschenke.“ In ihrem gemeinsamen Buch „Was schenken wir unseren Kindern?“ machen sie deutlich, was sie von Geschenken an Kinder halten. Sie nennen sie fragwürdige Verführungen und meinen damit, dass an besondere Geschenke auch Bedingungen geknüpft sind.
Über das Geschenk versucht man, das Kind zu motivieren. Es handelt sich hier um eine Form des Belohnungslernens.“ Das Kind merkt, dass es belohnt wird, wenn es das tut, was die Eltern sich wünschen. Es ist nicht mehr aus sich selbst heraus motiviert, etwas zu tun (Fahrrad zu fahren), sondern von außen.
Gerald Hüther, Neurobiologe und Autor
Auch die Erwartungshaltung seitens der Eltern wird gleich mitgeliefert. Wenn beispielsweise ein Spiel unterm Baum liegt, erhoffen wir uns, der Nachwuchs wird möglichst lange damit allein beschäftig sein.
Viel dringender als noch ein weiteres Spiel oder das vierte Auto brauchen Kinder unsere Zeit. Zeit, die wir gern und aufrichtig zusammen verbringen und wo echte Erinnerungen bleiben. Das müssen keine teuren Urlaube oder mega Ausflüge sein, was im Gedächtnis bleibt, sind die echten kleinen Alltagsabenteuer.
Super Beitrag 😄 sehr knackig und schön geschrieben. Sicher sehr hilfreich für ganz viele Familien (dramen 😉) unterm Christbaum.
Schöne Weihnachten 🎄
Vielen Dank, liebe Doreen! Schöne und entspannte Feiertage auch euch!