Gastartikel: Keine Gummibärchen vor dem Essen

GASTARTIKEL: Keine Gummibärchen vor dem Essen

Konflikte gehören zum Familienleben dazu. Stress und Chaos auch. Wie können Eltern damit umgehen, ohne dass die Beziehung zu den Kindern leidet?

Es gibt Situationen, in denen ich nicht mehr daran zweifle, dass Elternsein zu den härtesten Jobs der Welt zählt. Dass einem Kinderhaben einiges abverlangt, habe ich erwartet, davor dass sich Überforderung, Stress und Chaos täglich gleich mehrmals einstellen, hat mich allerdings niemand gewarnt. Um eines gleich zu Beginn klarzustellen: Ich genieße es außerordentlich Mutter zu sein und habe mein Leben noch nie intensiver und erfüllter gelebt wie seit der Geburt unseres Sohnes Jakob vor fast drei Jahren. Vor vier Monaten kam die kleine Pia dazu. Und ich kann sagen: Meine Kinder sind die Besten! Aber das Leben als Familie fordert meinen Mann und mich heraus, und ich kenne keine Familie, in der das anders ist. Es sind die alltäglichen Dinge, die zur Nervenprobe werden können: mit den Kindern halbwegs pünktlich aus dem Haus kommen, gemeinsam einkaufen gehen, Zähneputzen, abends alle ins Bett stecken. Anstelle von Harmonie und Gelassenheit gibt es allzu oft Geschrei, Ärger und Konflikte. Warum gibt es diese anstrengenden Momente im Familienleben? Kann man sie denn gar nicht vermeiden und sich einfach des Lebens freuen? Ich mache mich auf die Suche nach einer Antwort und frage nach bei der niederösterreichischen diplomierten Lebensberaterin Linda Syllaba, die Familien, Paare und Eltern als Coach begleitet (www.beziehungshaus.at). Ihre Antwort zerstört meine lang gehegte, insgeheime Hoffnung auf Friede, Freude, Eierkuchen. „Die dauerhafte Harmonie in der Familie gibt es genauso wenig wie die heile Welt.“ Konflikte und Stresssituationen gehören also dazu. Sie treten auf, weil die Anforderungen an Eltern heute besonders hoch sind, erklärt die Lebensberaterin, die sich in ihrer Arbeit an den Ideen des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul orientiert. Die Selbstverständlichkeit früherer Generationen was Kindererziehung und Paarbeziehung angeht, ist verloren gegangen. „Wir haben viel an Freiheiten gewonnen, und damit auch viel Verantwortung.“ Konflikte zwischen Eltern und Kindern bedeuten nicht, dass Eltern ihre Sache schlecht machen. Sie zeigen mitunter die Spannung auf, in der moderne Eltern stehen: Sie möchten nicht einfach über ihre Kinder drüberfahren und willkürlich Macht ausüben, wollen gleichzeitig aber Orientierung geben und die Führung übernehmen.

Warum Zähne putzen?

Ich denke an einen Konflikt, der bei uns zweimal täglich auf dem Programm steht: der Streit ums Zähneputzen. Unserem fast Dreijährigen ist einfach nicht verständlich zu machen, was passiert, wenn man sich vorm Zähneputzen drückt. An Kreativität, um diese für ihn lästige Prozedur schmackhafter zu machen, mangelt es mir nicht: Lieder singen, Geschichten dazu erzählen, eine Auswahl an Zahnbürsten mit Bären und Hasen, glitzernde Zahnpasta mit Erdbeergeschmack. Auch wenn es hin und wieder etwas besser geht, meistens wehrt sich Jakob mit Händen und Füßen. Ich fühle mich machtlos und bin frustriert. „Ich sage den Eltern, die zu mir kommen: Entweder Beziehung oder Zähne“, erzählt Linda Syllaba. Was für mich zuerst nicht akzeptabel klingt, erscheint mir nach längerem Nachdenken logisch. Will ich – koste es, was es wolle – das Zähneputzen durchsetzen, geht das auf Kosten der Beziehungsebene. Syllabas Erfahrung ist: Legen Eltern ihre Verbissenheit in dieser Sache ab, klappt es plötzlich viel besser. Denn Druck erzeugt Gegendruck, mehr Gelassenheit entspannt auch die Kinder. „Erklärungen, warum sie Zähneputzen sollen, bringen direkt in der Situation wenig. Besser ist es, davor oder danach mal drüber zu sprechen“, rät die Lebensberaterin. Und: Am Besten immer parallel zu den Kindern die eigenen Zähne putzen, damit sie sehen, dass das auch die Eltern tun.

Kinder haben kein Zeitgefühl

Einer der hektischsten Momente in unserem Familienleben ist, mich selbst und die Kinder fertig zu machen, um außer Haus zu gehen. Sätze wie „Mach schnell!“, „Wir müssen uns beeilen!“ oder „Es ist schon spät!“ kommen mir dabei nur allzu oft über die Lippen, und ich verliere häufig die Geduld, wenn mein Sohn darauf besteht, den Reißverschluss seiner Jacke selbst zuzumachen. „Kinder haben kein Zeitgefühl“, erklärt Linda Syllaba. „Eile ist für sie total unwichtig.“ Was für die Kleinen zählt, ist das Hier und Jetzt. Ich finde, dass das durchaus eine positive Einstellung ist, von der ich mir etwas abschauen könnte. Pünktlich aus dem Haus kommen müssen wir aber trotzdem. Was tun? „Kinder können nicht die Verantwortung dafür tragen, dass das Timing passt. Wenn ich jeden zweiten Tag in Eile bin, ist das ein klarer Hinweis, dass ich was ändern muss“, sagt Syllaba. Mehr Zeit fürs Fertigmachen einzuplanen liegt also in der Verantwortung der Eltern, die so ihre Führungsaufgabe wahrnehmen. Sollte es hin und wieder doch zeitlich eng werden, ist es in Ordnung, den Kindern genau das zu sagen und zu bitten: „Es ist wichtig für mich, dass wir uns schnell anziehen. Bitte hilf mit!“

Persönlich sprechen und tief atmen

Mit Kindern spricht man am besten so klar wie möglich. „Ein siebenfach verschachtelter Satz ist weniger klar“, sagt Linda Syllaba. Sie plädiert für eine Sprache, die persönlich ist. „Bei der persönlichen Sprache beginnt der Satz mit ‚Ich will‘ oder ‚Ich will nicht‘, dann kommt eine Nachricht über mich selber, statt einer Botschaft über den anderen.“ Der Vater oder die Mutter werden dadurch greifbarer, weil die Kinder wissen, wofür diese stehen. Unabhängig davon, ob die Eltern ja oder nein sagen, ist die persönliche Sprache wärmer und liebevoller und ermöglicht wirklichen Kontakt. Selbst wenn ich richtig verärgert bin, weil Jakob unerlaubterweise an meinem Computer gespielt hat, kann ich meinen Ärger also – auf persönliche Weise und sogar lautstark – ausdrücken: „Jakob! Ich will nicht, dass du an meinen Computer gehst. Ich bin richtig wütend deswegen! Lass den Computer in Ruhe!“ Linda Syllaba betont: „Auch Eltern sind Menschen und dürfen Gefühle zeigen.“ Der Gefühlsausbruch sollte aber frei von Pauschalierungen und für das Kind nicht beleidigend sein à la „Du hörst nie auf mich!“ oder „Du bist doch wirklich zu dumm…!“

In Situationen, die die Nerven blank liegen lassen, empfiehlt die Niederösterreicherin, einmal tief durchzuatmen. „So blöd das auch klingt, aber die Atmung ist die Verbindung zwischen Verstand und Gefühl. Bevor eine ungefilterte Reaktion rausspringen will, atme ich und sage mir: Es ist 2014, ich bin 42 Jahre alt. Ich bin hier die Erwachsene.“ Dass es schwierig sein kann, in Zorn und Ärger innerlich einen Schritt zurück zu machen, kenne ich gut, dass ich so manche Reaktion im Nachhinein bereut habe, auch. Die Worte oder Sätze, die in angespannten Situationen aus mir herauskommen, sind oft nicht das, was ich wirklich denke. Mich einen Augenblick besinnen und ins Hier und Jetzt holen, damit ich die Aufmerksamkeit auf mein Kind richten kann, kann Tränen, Scham und Verletzungen verhindern.

Keine Gummibärchen vor dem Essen

Ein Schlagwort bei Jesper Juul ist die Gleichwürdigkeit. Kinder sind zwar jünger und haben viel weniger Erfahrung als Erwachsene, aber sie sind gleicher Würde. Eltern sollen ihre Wünsche und Bedürfnisse ernst nehmen. Als Richtschnur für den Umgang mit den Kindern können sich Eltern fragen: „Wie würde ich einen erwachsenen Freund behandeln? Wie wir manchmal mit Kindern reden, würden wir mit keinem Erwachsenen reden, nicht einmal mit unserem Ehepartner“, sagt Linda Syllaba. „Das heißt aber nicht, dass sie immer das kriegen, was sie wollen.“ Die Eltern geben die Richtung vor und führen. Wenn ich Jakob Gummibärchen verweigere, weil es gleich Mittagessen gibt, nehme ich meine Führungsaufgabe wahr. Ist Jakob deswegen zornig und heult, kann ich meine Meinung dazu noch einmal freundlich wiederholen. Er hingegen hat ein gutes Recht auf sein Weinen und seine Wut, schließlich hat er nicht bekommen, was er wollte. Wenn sein Ärger verflogen ist, wir schließlich gemeinsam beim Mittagessen sitzen und er mit treuherzigen Augen zu mir sagt „Mami, das schmeckt wirklich sehr gut!“, wird mit bewusst, dass Elternsein auch der schönste Job der Welt ist.

 

Merke!

Konflikte gehören dazu: Die rein harmonische Familie gibt es nur im Traum. Ärger und Spannungen sind normal und bieten viele Möglichkeiten aneinander zu wachsen und zu reifen.

Persönliche Sprache: Ich sage, wie’s mir geht und was ich will bzw. nicht will. So lernen Kinder am Beispiel der Eltern, ihre eigenen Empfindungen wahrzunehmen und ihre Meinung auszudrücken.

Recht auf Wut: Auch Kinder haben ein Recht wütend zu sein, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen. Also nicht sofort beschwichtigen, bestechen oder ablenken wollen.

Druck erzeugt Gegendruck: Verbissenheit führt meistens nicht zum Ziel. Gelassenheit entschärft angespannte Situationen.

Richtiges Timing: Zeitdruck ist eine Erfindung von Erwachsenen. Mit Kindern also immer genügend Zeit einplanen.

Atmen: Sieht man nur noch rot, kann es helfen, tief ein- und auszuatmen. Klingt banal, hilft aber.

Ich bin hier der Chef: Eltern haben in der Familie die Führungsrolle inne. Vergessen sie das, laden sie den Kindern zu viel Verantwortung auf und geben ihnen nicht die nötige Sicherheit.

Die Kinder genießen: Auch wenn’s öfter mal anstrengend ist, können sich Eltern nicht genug an ihren Kindern freuen.

Sandra Lobnig, „Gesund & Leben“ nach einem Interview mit

Linda Syllaba, beziehungshaus.at – Eltern-, Paar- & Familiencoach, Korneuburg

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